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Kinder mit hyperkinetischem Syndrom
Neurochemische Hypothesen und entsprechende Untersuchungen weisen auf eine verminderte cerebrale Durchblutung des Frontalhirns hin. Auch finden sich Inbalancen der Neurotransmittersysteme. Neue molekulargenetische Studien weisen auf eine besondere Rolle des Dopaminstoffwechsels hin
Kinder mit hyperkinetischem Syndrom ? eine der größten pädagogischen Herausforderungen für Lehrer/innen |
Bericht einer Lehrerin: ,,Max besucht den 2. Jahrgang der Grundschule. In Mathematik zeigt Max gute Leistungen, während er insbesondere im Lesen und Rechtschreiben weit unter dem Klassendurchschnitt zurückbleibt. Sein Arbeitstempo ist zu langsam. Max ist ein äußerst impulsiver und lebhafter Schüler, dem es sehr schwerfällt, den mündlichen Äußerungen der anderen Schüler aufmerksam zuzuhören. Umweltreize und Geräusche lenken Max sofort ab, unwichtige Einzelheiten kann er schlecht aussortieren. Max muß ständig auf sich aufmerksam machen, indem er unaufgefordert dazwischenredet, mit seinem Stuhl kippelt, auf den Tisch schlägt, Schreibutensilien, Lineale und Papiere als Spielzeuge benutzt und ständig mit beiden Händen und Mund in Bewegung ist. Erklärungen überhört Max. Er zeigt wenig Ausdauer. Max' Verhaltensauffälligkeiten kommen immer häufiger vor und stören den Unterricht erheblich. Nach Gesprächen mit den Eltern hat sich Max' Fehlverhalten nicht verbessert."
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Max' Problemverhalten, wie es sich in dem Erziehungsbericht der Lehrerin darstellt, ist typisch für ca.3 bis 5 % aller Kinder, vornehmlich Jungen. Hyperkinetische Verhaltensauffälligkeiten, oft verbunden mit oppositionellen Störungen, bieten sehr häufigen Anlaß für die Vorstellung eines Kindes beim Arzt, Psychologen, in der Erziehungsberatungsstelle oder beim schulpsychologischen Dienst.
Die Kernsymptome der ?Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung" sind Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität und Hyperaktivität.
Aufmerksamkeitsstörungen zeigen sich vor allen Dingen bei Tätigkeiten, die geistige Anstrengung erfordern und auch stärker fremdbestimmt sind, insbesondere in der Schul- und Hausaufgabensituation. Die selektive Aufmerksamkeit ist eingeschränkt, d. h. es fällt den betroffenen Kindern schwer, die Aufmerksamkeit auf aufgabenrelevante Reize zu lenken und irrelevante Reize zu ignorieren. Ein hohes Ausmaß an Ablenkbarkeit ist die Folge. Die Daueraufmerksamkeit ist eingeschränkt. Aufgaben werden vorzeitig abgebrochen, Tätigkeiten häufig gewechselt, Flüchtigkeitsfehler entstehen, die Aufgaben werden häufig nachlässig erledigt und das Schriftbild ist oft unschön und wirkt ungelenk.
Hyperaktivität meint eine desorganisierte, mangelhaft regulierte und überschießende motorische Aktivität, verbunden mit exzessiver Ruhelosigkeit. Das Schulkind steht im Unterricht auf, läuft herum, spielt mit Gegenständen und spricht viel.
Impulsivität zeigt sich als Ungeduld und als Schwierigkeit, Bedürfnisse aufzuschieben oder als plötzliches Handeln, ohne zu überlegen. Im emotionalen Bereich bedeutet dies eine erniedrigte Frustrationstoleranz und schnelle Wutanfälle. Im kognitiven Bereich finden sich bei Aufgabenbearbeitungen viele "Lösungen auf den ersten Blick" und eine hohe "Versuch- und Irrtumsrate".
Die Symptomatik zeigt sich am deutlichsten in Situationen, die ein hohes Maß an Eigenkontrolle erfordern oder die den Reiz des neuen verloren haben, z. B. dem Lehrer im Unterricht zuzuhören, Hausaufgaben zu machen oder bei der Durchführung von sich wiederholenden Aufgaben. Befindet sich das Kind in einer neuen Umgebung oder wird sein Verhalten häufig belohnt oder kann es sich seiner Lieblingsaktivität widmen, reduziert sich die Symptomatik deutlich.
Neben den Kernsymptomen treten häufig zusätzliche Auffälligkeiten auf. Viele hyperkinetische Kinder haben soziale Probleme im Kontakt mit anderen Kindern. Sie zeigen häufig Dominanzstreben, aggressive Tendenzen und Störverhalten in der Gruppensituation.
Hyperkinetische Kinder zeigen in einem hohen Ausmaß Schulleistungsprobleme. Sie wiederholen häufiger eine Klasse, erreichen einen niedrigeren Schulabschluß, befinden sich häufiger in ,,Sonderschulen" und zeigen geringere Leistungen, insbesondere im Bereich des Lesens und der Rechtschreibung. Die Aufmerksamkeitsstörungen dürften die Lernleistungen der Kinder beeinträchtigen, mit zunehmendem Alter spielen jedoch dann auch die Sekundärstörungen im Sinne eines deutlich verminderten Selbstwertgefühls nach vielen Mißerfolgserfahrungen und geringerer Leistungsmotivation eine große Rolle. Auch emotionale Auffälligkeiten wie z.B. mangelndes Selbstvertrauen, Ängste und depressives Erleben finden sich häufiger bei hyperkinetischen Störungen.
Hyperkinetische Störungen zeigen in den verschiedenen Entwicklungsphasen einen oft typischen Verlauf. Mit Eintritt in die Schule fällt die Symptomatik schließlich am deutlichsten auf. Die Kinder werden aufgrund ihrer motorischen Unruhe und ihrer Impulsivität schnell zum Störenfried in der Klasse und damit auch zum Außenseiter.
Durch die Gleichaltrigengruppe erfahren die Kinder häufig Ablehnung und Ausgrenzung. . Zu Hause beginnt die Zeit des ,,Hausaufgabendramas".
Im Jugendalter vermindert sich die motorische Unruhe etwas. Die Aufmerksamkeitsstörungen bleiben jedoch bestehen. In ca. 40 % der Fälle wird die Symptomatik durch aggressives dissoziales Verhalten begleitet. Die Jugendlichen unterliegen erheblichen Gefühlsschwankungen und einer leichten Beeinflußbarkeit, was auch zu erhöhten Alkohol- und Drogenmißbrauch führen kann.
Es gibt aber nicht nur die Symptome beim Kind, sondern auch typische Merkmale bei den Bezugspersonen, besonders bei den Eltern und den Lehrer/innen. Ist ein Kind mit einem hyperkinetischen Syndrom in der Klasse, zeigen Lehrer/innen meist Anzeichen von sehr großer Belastung. Diese reichen von starker körperlicher Anspannung, Kopfschmerzen und Magenschmerzen bis hin zu dem Wunsch, sich pensionieren zu lassen, weil diese Kinder nur ganz schwer auszuhalten sind. Die Bemühungen, einen guten Unterricht zu gestalten, werden durch die Störungen des Kindes immer wieder zunichte gemacht. Die Gefühle schwanken häufig zwischen Resignation und Wut. Weil die sonst erfolgreichen pädagogischen Maßnahmen bei diesen Kindern kaum wirken, fühlt man sich als Lehrer/in durch diese Schüler oft persönlich in Frage gestellt. Ist man vielleicht ein schlechter Lehrer, eine schlechte Lehrerin? Nicht selten passiert es dann, daß sich Lehrer und Eltern wechselseitig die Schuld zuweisen. Von Lehrerseite ist zu hören, daß die Eltern in der Erziehung versagt haben. Die Eltern dagegen meinen, daß es am Lehrer liegt, weil er inkompetent ist und nicht richtig mit dem Kind umgehen kann. Damit beginnt häufig eine negative Eskalationsspirale, welche die Belastung aller Beteiligten noch vergrößert.
Was ist aber nun tatsächlich die Ursache dieser Verhaltensauffälligkeiten beim Kind? In der Forschung überwiegt gegenwärtig die Meinung, daß den hyperkinetischen Störungen ein multifaktorelles Geschehen zugrundeliegt. Es besteht heute kein Zweifel, daß hyperkinetische Störungen letztendlich neurobiologisch bedingt sind. Psychosoziale Faktoren können den Verlauf der Störung wesentlich beeinflussen.
Als pathogenetisch wirksame Faktoren werden neurologische Störungen, neurochemische Faktoren, Störungen des Immunsystems und genetische Einflüsse sowie psychosoziale Bedingungen diskutiert. In mehreren Studien konnte eine erhöhte Rate an hyperkinetischen Störungen bei den biologischen Eltern und Geschwistern der betroffenen Kinder festgestellt werden. Insbesondere weisen Zwillingsstudien auf sehr hohe Konkordanzraten bei monozygoten Zwillingen hin. Allergische Faktoren spielen bei einem sehr geringen Teil der betroffenen Kinder eine Rolle. Neurochemische Hypothesen und entsprechende Untersuchungen weisen auf eine verminderte cerebrale Durchblutung des Frontalhirns hin. Auch finden sich Inbalancen der Neurotransmittersysteme. Neue molekulargenetische Studien weisen auf eine besondere Rolle des Dopaminstoffwechsels hin. Bestimmte Dopaminrezeptoren (D1, D4) sind im Bereich der Basalganglien vermindert.
Psychosoziale Faktoren spielen bei der Genese der hyperkinetischen Störung im Gegensatz zu aggressiven und dissozialen Störungen eine begrenzte Rolle.
In der Behandlung von Kindern mit Aufmerksamkeits- und hyperkinetischen Störungen zeigt ein multimodales Vorgehen den größten Erfolg. Zu den kindzentrierten Maßnahmen gehören die Pharmakotherapie sowie insbesondere die Verhaltenstherapie (z.B. Selbstmanagementverfahren, Selbstinstruktionstrainings, soziale Kompetenztrainings und Problemlösungstrainings).
Gerade die medikamentöse Behandlung gab immer wieder Anlass für sehr emotional geführte Diskussionen. Auf der Grundlage des bisherigen Forschungsstandes ist es jedoch als Kunstfehler anzusehen, wenn man als Arzt die medikamentöse Behandlung bei diesem Krankheitsbild nicht in seine Überlegungen bei der Therapieplanung mit einbezieht.. Klar herauszuheben ist aber auch, daß Ritalin kein Wundermittel ist. Es schafft nur bessere körperliche Voraussetzungen dafür, daß sowohl das soziale Verhalten als auch das Lernen beim Kind besser gelingen und erzieherische Maßnahmen zu mehr Erfolg führen können.
Andererseits bekommen Lehrer mit, dass die Tabletten ohne Regeln eingenommen werden, sie werden vergessen oder ,,nach Bedarf" gegeben. Die Dosis variiert von Kind zu Kind erheblich. Weitere therapeutische Maßnahmen dagegen bleiben aus. Zu Recht ist Skepsis bei derartigen "Behandlungen" angebracht. Gerade eine solche medikamentöse Behandlung sollte vom Facharzt durchgeführt und auch regelmäßig kontrolliert werden. Zusätzlich sind aber immer weitere therapeutische Maßnahmen notwendig.
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